Eine Geschichte über alltäglichen Antiziganismus. Die Geschichte von Liviu.

Liviu und seine Frau Ana reisten gemeinsam mit ihren drei Kindern von Rumänien nach Wien, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, frei von Diskriminierung und Ausgrenzung. Liviu und seine Familie sind Rudari, ethnische Roma.

Bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurden die Rudari in Siebenbürgen als Sklaven im Bergbau und als Goldwäscher ausgebeutet. Das Ende der Sklaverei in Rumänien 1855/56 brachte jedoch nicht die lang ersehnte Freiheit und Unabhängigkeit. Zwar entkamen die Rudari ihrem Dasein als Sklaven, doch aufgrund der mangelnden Perspektiven gerieten viele rasch wieder in Abhängigkeiten ihrer alten Arbeitgeber. Andere kehrten, um der „neuen Sklaverei“ zu entkommen, Rumänien für immer den Rücken. Heute leben sie weit verstreut in vielen Ländern Südosteuropas. Die meisten Rudari werden von der Mehrheitsbevölkerung ihrer Herkunftsländer als „Zigeuner“ diskriminiert und ausgegrenzt. Das bedeutet, ihnen wird systematisch der Zugang zu Kindergärten, Schulen, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmarkt verwehrt.

Da Liviu und seine Familie sich nicht in der Lage sahen, ihren Lebensunterhalt in Rumänien zu bestreiten, beschlossen sie, ihr Dorf zu verlassen und nach Wien zu gehen, wo sie nun von Zeitungsverkauf leben.

„Natürlich wäre mir ein ganz normaler vierzig Stunden Job lieber, den finde ich leider nicht und ich darf keine Zeit verlieren, da ich ja drei Kinder zu ernähren habe“, begründet er seine Entscheidung. Seine Frau und er stehen unweit von einander auf einer Straße, vor zwei Supermarktfilialen, im 18. Bezirk. Schnell wird Liviu bei den Kundinnen und bei den Mitarbeiterinnen der Filiale bekannt und beliebt. Er ist hilfsbereit und trägt älteren Damen gerne die Einkäufe nach Hause. So auch Frau B.

Eines Tages erhielt die Bettellobby Wien den Anruf eines besorgten Kunden, das Liviu eine Anzeige bekommen habe und ob wir ihn nicht unterstützen könnten. Wir trafen Liviu, der fassungslos war, denn Frau B. bezichtigte ihn ihre Handtasche gestohlen zu haben. Gemeinsam mit der Solidaritätsgruppe konnten wir Liviu für die bevorstehende Verhandlung am 21.4. 2016 vorbereiten und begleiten. Bei der Verhandlung stellte sich heraus, dass die Dame den angeblichen Diebstahl erst drei Wochen nach der Tat bemerkte und zur Anzeige gebracht hat, die Tasche tauchte übrigens lange vor dem Prozess wieder auf, dennoch blieb sie dabei und behauptete dreist vor Gericht: „Er der Zigeuner war’s, er hat zappzerapp gemacht!“

Die Beschuldigung der Frau B. stellte sich sehr rasch als haltlos dar. Sie verwickelte sich in widersprüchlichen Aussagen. Liviu wurde zum Glück rasch frei gesprochen. Dennoch der Schock sitzt dem Mann tief in den Knochen. Er und seine Familie beschlossen fürs erste zurück nach Rumänien zu kehren. Zu groß ist ihre Angst. Sein Dank gilt allen seinen Stammkundinnen und Unterstützerinnen, die ihm tagtäglich ohne Vorbehalte begegnen.

Es ist uns als Bettellobby Wien ein großes Anliegen, über diese und andere Formen der Diskriminierung aufmerksam zu machen.Der Alltagsrassismus gegenüber zugewanderter Armutsbetroffener Menschen reicht oft sehr weit, hin bis zu einer generalisierten Kriminalisierung. Politik und Medien leisten dabei das Ihre. Begleitungen zu Verhandlungen spielen daher eine wichtige Rolle, denn auch nicht alle Richterinnen sind frei von Vorurteilen.

Da dieser unhinterfragte Antiziganismus und Rassismus in der Bevölkerung so weit verbreitet sind, ist es nötig Gegenmaßnahmen zu ergreifen und Aufmerksam zu bleiben. Liviu hat dies getan und Recht bekommen.

Wie wichtig das Aufdecken von Rassismus, Antiziganismus und Stereotypisierung ist, zeigt diese Geschichte von Herrn Liviu.

Quelle: Bettellobby Wien