Ungarn verliert Quotenprozess

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Klage Ungarns und der Slowakei gegen die Umverteilung von Flüchtlingen zurückgewiesen. Eine entsprechende, von der EU beschlossene verbindliche Aufnahmequote sei rechtens, teilte der EuGH am Mittwoch mit.

Die Entscheidung sei damals einwandfrei getroffen worden. Seit gut zwei Jahren ging der Streit über die Umverteilung von Flüchtlingen bereits - fast so lange war die Klage gegen das damals beschlossene Programm anhängig. Die Slowakei und Ungarn wollten, dass der EuGH in Luxemburg den entsprechenden Beschluss für nichtig erklärt. Ungarn und die Slowakei müssen nun auch gegen ihren Willen Flüchtlinge aufnehmen.

Hohe Geldstrafe möglich

Sollten sich Ungarn, die Slowakei und andere EU-Staaten weiterhin gegen den Beschluss und die Aufnahme von Flüchtlingen sperren, könnte die EU-Kommission auf solider rechtlicher Basis Vertragsverletzungsverfahren vorantreiben, die letztlich in hohe Geldstrafen münden können.

EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos hatte Vertragsverletzungsverfahren angekündigt, wenn die Staaten bis Ende September nicht ihre Quoten bei der Umverteilung erfüllen. Gegen Ungarn, Polen und Tschechien hatte die Brüsseler Behörde bereits im Juni erste derartige Schritte eingeleitet.

Ungarn: Urteil „inakzeptabel“

Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto bezeichnete das EuGH-Urteil als „inakzeptabel“ und „nicht verbindlich“ für Budapest. Ungarn werde „alle rechtlichen Mittel“ ausschöpfen, um gegen die Entscheidung anzukämpfen, sagte Szijjarto am Mittwoch. Das Urteil sei weder ein „rechtlicher noch fachlicher“, sondern ein „politischer Beschluss“, so der Außenminister.

Slowakei: Nehmen Urteil zur Kenntnis

Die Slowakei akzeptiert nach Angaben des Außenministeriums in Bratislava das EuGH-Urteil, hält ihre Bedenken aber aufrecht. „Wir nehmen das Urteil zur Kenntnis und akzeptieren es“, sagte Ministeriumssprecher Peter Susko der deutschen „Welt“. Nun müsse man „allerdings noch die Details abwarten“. Susko: „Das Urteil ändert jedoch nichts an unserer Überzeugung, dass die Verteilung von Flüchtlingen nach Quoten in der Praxis nicht funktioniert.“

„Die Quote funktioniert nicht, weshalb die Gerichtsentscheidung jetzt recht irrelevant ist“, sagte hingegen der slowakische Wirtschaftsminister Peter Ziga. Die EU müsse einen anderen Weg finden, um das Problem zu lösen. Die Situation sei aber auch nicht mehr so schwierig wie vor zwei Jahren, als man sich gezwungen sah, Klage einzureichen.

Insgesamt 160.000 sollten umverteilt werden

Um die Verteilung schutzbedürftiger Flüchtlinge innerhalb der EU möglichst gerecht zu gestalten, hatte der EU-Rat eine Quotenlösung ins Leben gerufen. Der Ansatz: 160.000 Menschen aus Griechenland und Italien auf andere EU-Mitgliedsländer zu verteilen. Der Beschluss über die Umverteilung von 120.000 Flüchtlingen vom September 2015 wurde mit Mehrheit gefasst, auch Österreich stimmte damals dafür. Bereits zuvor hatte sich eine Reihe von EU-Staaten freiwillig verpflichtet, 40.000 Menschen aufzunehmen.

Grundlage infrage gestellt

Die Slowakei, Ungarn, Tschechien und Rumänien stellten sich allerdings gegen den Beschluss, waren allerdings aufgrund des Mehrheitsbeschlusses davon betroffen. Ungarn und die Slowakei reichten schließlich Klage dagegen ein. Ihre Argumentation: Die Umverteilung sei keine geeignete Reaktion auf die Flüchtlingskrise, und der Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) sei als Grundlage ungenügend.

Als Kläger verwiesen sie darauf, dass eine solche Maßnahme nur mit einem formellen EU-Gesetz mit Einbindung der nationalen Parlamente rechtmäßig hätte beschlossen werden können. Polen schlug sich auf die Seite der Kläger. Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Schweden und die EU-Kommission stehen hinter dem EU-Rat. Laut dem Vertragswerk, auf das sich diese Länder berufen, sind bei einer „Notlage“ einzelner Länder wegen der Zuwanderung von Flüchtlingen „vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden Mitgliedsstaaten“ erlaubt.

EuGH: Beurteilungsspielraum nicht überschritten

Der EuGH verwies in seinem aktuellen Urteil darauf, dass der EU-Gipfel mit seiner Entscheidung vom 25. und 26. Juni 2015 zur Umverteilung seinen „weiten Beurteilungsspielraum nicht überschritten hat“, als er annahm, dass die ursprüngliche Regelung einer Umverteilung von 40.000 Flüchtlingen auf freiwilliger Basis nicht genügen würde, um den in den Monaten Juli und August 2015 erfolgten „beispiellosen Zustrom von Migranten zu bewältigen“.

Der EuGH verwies darauf, dass es den „Unionsorganen ermöglicht ist, sämtliche vorläufige Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um wirksam und rasch auf eine durch den plötzlichen Zustrom von Vertriebenen geprägte Notlage zu reagieren. Diese Maßnahmen dürfen auch von Gesetzgebungsakten abweichen, vorausgesetzt u. a., dass sie hinsichtlich ihres sachlichen und zeitlichen Geltungsbereichs begrenzt sind und weder bezwecken noch bewirken, dass solche Rechtsakte dauerhaft ersetzt oder geändert werden; diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt“, so die Begründung des EuGH weiter.

Nur 27.600 Menschen „umverteilt“

Die tatsächlichen Fortschritte sind mehr als bescheiden: Nur 27.600 Menschen konnten bis jetzt in andere Mitgliedsstaaten übersiedeln. 8.402 kamen dabei aus Italien und 19.243 aus Griechenland. Dabei hätte die Umverteilung eigentlich in drei Wochen komplett abgeschlossen sein sollen - davon ist man derzeit weit entfernt. EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos stellte bereits vor längerer Zeit klar, dass der Stichtag nicht ein Ende der Verteilung der Aufnahmen bedeutet.

Bis heute hat weder Ungarn noch Polen einen einzigen Flüchtling aus dem Programm aufgenommen. Sie müssten nach den festgelegten Quoten 1.294 beziehungsweise 6.182 Asylwerber aus Griechenland und Italien aufnehmen. Die Slowakei, deren Quote bei 902 Flüchtlingen liegt, hat bisher 16 Flüchtlinge aus Griechenland aufgenommen - offenbar als Zeichen guten Willens im Vorfeld der EU-Ratspräsidentschaft im Vorjahr.

Auch Österreich äußerst säumig

Auch eine Reihe anderer EU-Staaten liegt noch weit hinter den festgelegten Zielen zurück. Dazu gehört auch Österreich: Zuletzt wurden die 15 ersten Personen aufgenommen - 14 junge Erwachsene und ein Neugeborenes aus Eritrea und Syrien. Doch das Ziel ist damit freilich noch lange nicht erreicht: Dieses wurde mit dem Beschluss für Österreich mit 1.953 festgesetzt. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte zunächst mit nur 50 Asylwerbern beginnen wollen. Der SPÖ war selbst das zu viel, Bundeskanzler Christian Kern konnte in Brüssel aber keine Ausnahme von zugesagten Verpflichtungen erreichen.