Schweiz kein bevorzugtes Zielland mehr für Flüchtlinge

Die reiche Schweiz ist für Flüchtlinge kein bevorzugtes Zielland mehr. Von Personen ohne Asylgrund werde das Land seit einigen Jahren „nachhaltig gemieden“.

Dies sagte der zuständige Staatssekretär Mario Gattiker Ende April vor einer österreichischen Delegation in Bern. Seit 2015 verzeichnet Österreich deutlich mehr Asylanträge als die Eidgenossenschaft, die bei den Verfahren in Europa davor lange Zeit auf Platz Zwei hinter Schweden lag. Laut Gattiker liegt das daran, dass die bevorzugte Route während der Flüchtlingswelle 2015 nicht über die Schweiz führte, sondern über den Westbalkan nach Österreich und Deutschland. Es kämen aber auch Schweizer Reformen stark zum Tragen, die bereits vor 2015 durchgeführt wurden.

Asylverfahren seit 2012 stark beschleunigt

Seit 2012 wurden die Asylverfahren stark beschleunigt - wer in der Schweiz einen Asylantrag stellt, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben, bekommt rasch einen negativen Bescheid. Jene Anträge, die besonders wenig Chancen haben, werden priorisiert behandelt. Das habe sich „herumgesprochen“, so Gattiker. Außerdem verweigert die Schweiz sogenannten Wiederkehrern ein neuerliches Verfahren.

„Konsequente“ Politik der Rückführung

Zu den rascheren Verfahren kommt eine „konsequente“ Politik der Rückführung. Dafür suche man auch den Dialog mit den Herkunftsstaaten, einen „Dialog auf Augenhöhe“ wie Gattiker betont, der nicht auf Drohungen sondern auf Entwicklungszusammenarbeit und Ausbildungsmaßnahmen setze. Es gebe auch enge Kooperationen zwischen den Polizeibehörden der Herkunftsländer und jener der Schweiz.

Augenmerk auf „freiwillige Rückkehr“

Besonderes Augenmerk legt das Land aber auf die „freiwillige Rückkehr“. Ein Anreizsystem bevorzugt diejenigen, die früh die Entscheidung treffen, die Schweiz zu verlassen. Ein Rückkehrer kann mit mindestens 1.000 Franken (836,12 Euro) rechnen. Bei einer raschen Rückkehr kann sich der Betrag auf bis zu 5.000 Franken erhöhen. Das Geld wird aber nicht in bar ausgezahlt, sondern projektbezogen vergeben, um einen Neustart im Herkunftsland zu ermöglichen. Dieses System führt laut Gattiker dazu, dass nur fünf Prozent der Flüchtlinge zwangsweise ausreisen müssen. Diese fünf Prozent seien aber wichtig, um eine „Drohkulisse“ aufrechtzuerhalten.

Schweiz als Transitland

Durch die Reformen von 2012 ist die „Schweiz kein attraktives Land für Armutsmigration aus Afrika“, so Gattiker. Nur zehn Prozent der Flüchtlinge, die in der Schweiz ankommen, stellen einen Antrag auf Asyl. Der Rest nutzt die Eidgenossenschaft lediglich als Transitland. Dafür haben Asylwerber in der Schweiz grundsätzlich relativ hohe Chancen, Schutz zu bekommen. Die Anerkennungsquote liegt laut Angaben des Staatssekretärs bei 55 Prozent, bei den Eritreern sogar bei 80 Prozent.

Bundesasylzentren mit allen relevanten Akteuren

2016 wurde ein neues Asylgesetz vom Schweizer Stimmvolk mit 68 Prozent angenommen. Es sieht unter anderem die Schaffung von Bundesasylzentren vor, die alle relevanten Akteure - bis hin zu den Richtern - an einem einzigen Ort versammeln, was die Verfahren noch einmal beschleunigen soll. Dann sollen 60 Prozent der Fälle erstinstanzlich in acht anstatt wie bisher in 30 Werktagen abgewickelt werden. Dazu kommen kürzere Einspruchsfristen.

Unentgeltliche Rechtsvertreter als „Clou“

Ein Novum ab 2019 ist der unentgeltliche Rechtsschutz für jeden Asylwerber. Dafür werde die Schweiz unabhängige 200 bis 300 Juristen unter Vertrag nehmen, rechnet Gattiker vor. Seit 2014 teste man diesen Rechtsschutz in Zürich und habe damit überaus positive Erfahrungen gemacht. Für Gattiker sind die Rechtsvertreter überhaupt der „Clou“ des neuen Asylgesetzes, der wie „Öl im Getriebe“ wirken werde. Denn in Zürich seien die Beschwerdequoten durch den Rechtsschutz gesunken. Asylwerber würden eher auf einen Einspruch verzichten, wenn ihnen die schlechten Erfolgschancen von unabhängiger Seite dargelegt würden. Und „ein moralisch integrer Jurist“ lege keine Beschwerde ein, wenn der Einspruch aussichtslos sei.

„Ökonomisierungslogik“ bei der Beschleunigung

Die Neuerungen sorgen aber auch für Kritik. Die Journalistin Noemi Landolt bemängelte 2016 in der linken Schweizer Wochenzeitung „WoZ“ die „Ökonomisierungslogik“ bei der Beschleunigung. In den Asylverfahren gehe es um „Menschen, die oftmals großen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt waren und sind. Sie brauchen Zeit, um ihre Geschichte vollständig und nachvollziehbar erzählen zu können.“ Die den Asylwerbern zur Seite gestellten Rechtsvertreter würden zudem nicht nach Aufwand, sondern nach Fall bezahlt, was einer „gründlichen Aufarbeitung“ im Wege stehe.

„Zu restriktive Politik“ gegenüber syrischen Flüchtlingen

Auch an der Schweizer Praxis, Asylwerbern häufig nur vorläufigen Schutzstatus zu gewähren, wurde bereits Kritik laut. Gegenüber syrischen Flüchtlingen zum Beispiel verfolge die Schweiz eine „zu restriktive Politik“, sagte 2015 die Chefin des Schweizer UNHCR-Büros gegenüber der „NZZ am Sonntag“. Während die europäischen Staaten laut Anja Klug im Schnitt 70 Prozent der Syrer als Flüchtlinge anerkannten, lag die Quote in der Schweiz nur bei 35 Prozent. „Vorläufig Aufgenommene müssen jederzeit damit rechnen, dass sie aus der Schweiz weggewiesen werden“, sagte Klug. Dies führe zu großer Unsicherheit und Perspektivlosigkeit.