Experten befürchten Druck auf Zivilvereine in Ungarn

Deutlicher als erwartet hat der EU-kritische Regierungschef Viktor Orbán die Parlamentswahl in Ungarn gewonnen. Seine rechtsnationale Fidesz-Partei kam auf 48,5 Prozent der Stimmen und erzielte damit eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit.

Dies teilte das Nationale Wahlbüro gestern Früh in Budapest mit. Der von Kritikern als autoritär beschriebene Orbán steht nun vor seiner vierten Amtszeit und der dritten in Folge.

NGOs könnten in Illegalität gedrängt werden

Nach seinem erneuten Wahlsieg zeichnen sich schlechte Zeiten für unabhängige Organisationen ab, die Flüchtlingen helfen. Ein Gesetzespaket, das sie in die Illegalität drängt, könnte bereits im Mai vom neuen Parlament beschlossen werden, sagte Fidesz-Fraktionssprecher János Halász gestern im staatlichen Fernsehen. Dies sei „eine Frage der Souveränität, der nationalen Sicherheit des Landes“, fügte er hinzu.

Zahlreich waren die Glückwünsche EU-feindlicher und rechts-populistischer Parteien in Europa zur Wiederwahl Orbáns. Darunter reihten sich Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ), die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland und Alice Weidel ebenso wie der italienischen Lega-Chef, Matteo Salvini, die Französin Marine Le Pen und der Niederländer Geert Wilders ein. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gratulierten.

Jobbik als stärkste Opposition

Orbáns Fidesz-Partei errang im neuen Parlament 133 Sitze und kann sich zudem auf einen Abgeordneten der deutschen Minderheit stützen. Damit kommt sie wie schon zwischen 2010 und 2015 auf eine Zweidrittelmehrheit. Stärkste Oppositionspartei wurde die rechtsradikale Jobbik (Die Besseren) mit 19,5 Prozent der Stimmen, gefolgt von der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP) mit 12,3, der Grünen-Partei Politik kann anders sein (LMP) mit 6,9 und der linksgerichteten Demokratischen Koalition (DK) mit 5,6 Prozent.

„Ungarn zu verteidigen“

In der Wahlnacht ließ sich Orbán in einer hippen Location an der Budapester Donau von Aktivisten und Anhängern feiern. „Wir haben gesiegt“, erklärte der 54-Jährige vor der jubelnden Menge. „Das gibt uns die Möglichkeit, Ungarn zu verteidigen.“ Im Wahlkampf hatte er fast ausschließlich das Thema Migration angesprochen und die Europäische Union wegen ihrer Asylpolitik angegriffen. In der Opposition griff hingegen Depression um sich. Jobbik-Chef Gábor Vona, der LMP-Vorsitzende Akos Hadhazy und das geschlossene Präsidium der MSZP erklärten noch in der Wahlnacht den Rücktritt.

OSZE sieht ungleiche Bedingungen für Bewerber

Laut Wahlbeobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) haben bei den Wahlen ungleiche Bedingungen für die Bewerber vorgeherrscht. Der Wahlsieger habe durch sein übergroßes Mediengewicht deutlich mehr Wahlkampf machen können, teilte die Organisation gestern mit. Die Geschehnisse am Wahltag seien verhältnismäßig geordnet verlaufen, müssten aber trotzdem noch weiter untersucht werden.

Sieg in dieser Deutlichkeit nicht erwartet

Die meisten Wahlforscher hatten den Fidesz-Sieg in dieser Deutlichkeit nicht erwartet. Allgemein wurde angenommen, dass Orbán mehr oder weniger sicher eine absolute Mehrheit erringen würde. Das ungarische Wahlrecht besteht aus einer Mischung von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht und verhilft der relativ stärksten politischen Kraft zu einer unverhältnismäßig hohen Zahl an Mandaten.

Repräsentant der deutschen Minderheit im Parlament

Mit dem 65-jährigen Imre Ritter ist im neuen Parlament erstmals ein Repräsentant der deutschen Minderheit vertreten. Um gewählt zu werden, musste er die weitaus niedrigere Schwelle überwinden, die für nationale Minderheiten vorgesehen ist. Als Fidesz-Parteimitglied wird er den Erwartungen zufolge die Regierungsmehrheit unterstützen.

Konflikte zwischen Budapest und Brüssel

In der EU geht man davon aus, dass eine Neuauflage der Regierung Orbán zu weiteren Konflikten zwischen Budapest und Brüssel führen wird. Seit 2010 steuert der rechtskonservative Politiker einen Konfrontationskurs zur EU. Streitpunkte sind unter anderen die Asylpolitik, die Einschränkung von Medienfreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und Bürgerrechten sowie der mutmaßliche Missbrauch von EU-Fördergeldern. Von der EU beschlossene Quoten zur faireren Verteilung von Asylwerbern boykottierte Orbán.

Im Wahlkampf gegen EU, UNO und George Soros

Im Wahlkampf hatte Orbán behauptet, dass die EU, die Vereinten Nationen (UNO) und der US-Milliardär George Soros Pläne verfolgen würden, um Zehntausende Migranten in Ungarn anzusiedeln und das Land zum „Einwanderungsland“ zu machen. Nur wenn er weiterregiere, könne dies verhindert werden. Beweise für die angeblichen Pläne legte er keine vor. Soros, ein aus Ungarn stammender Holocaust-Überlebender, hatte sein Geld als Börsenspekulant gemacht - heute unterstützt er Zivilorganisationen, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen.

Amnesty besorgt über Menschenrechtslage in Ungarn

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International äußerte gestern Sorge über die Menschenrechtslage in Ungarn. Die Politik Orbáns habe in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass „kritische Stimmen attackiert und die Menschenrechte in unserem Nachbarland eingeschränkt wurden“, teilte die Geschäftsführerin von Amnesty Österreich, Annemarie Schlack, in einem Statement mit. Nach dem Ergebnis der Parlamentswahl sei zu befürchten, dass diese menschenverachtende Politik fortgeführt wird. Amnesty werde sich daher weiter für den „sozialen Zusammenhalt“ in Ungarn einsetzen und gegen eine „Wir-Gegen-Sie-Politik aufstehen“, so Schlack.

„Repressive, autoritäre Machtpolitik“

Auch der Budapester Think-tank Political Capital gelangte gestern zu der Einschätzung: „Ungarn wurde (unter Orbán) zu einem erfolgreichen Labor für illiberales Regieren, getragen von (...) einer politischen Rhetorik, die auf Identitätspolitik, Verschwörungstheorien und Feindbildern gründet.“ Auch eine „massive regierungs-finanzierte Fake-News-Industrie“ trage zum Erfolg von Orbáns Modell bei. Mit dem Rückenwind des Wahlergebnisses werde Ungarns starker Mann weiterhin eine „repressive, autoritäre Machtpolitik“ machen, hieß es in einer Kurzanalyse.