Wirtschaft „zugunsten der Menschen regulieren“

Für die Philosophin Lisa Herzog muss die EU die Wirtschaft „stärker zugunsten der Menschen regulieren.“ Im APA-Interview sagte sie gestern in Wien, dass Kapitalismus nur mit Freiheit einhergehen könne, wenn er von anderen Institutionen begleitet werde.

Dennoch sei es nicht „der Kapitalismus, der die Freiheit garantiert, sondern, wenn überhaupt, das Ensemble dieser Institutionen.“

Demokratie & Rechtsstaat am wichtigsten

Von diesen Institutionen seien Demokratie und Rechtsstaat die wichtigsten. „Wir sehen aber im Moment auch, wie wichtig eine freie Presse und öffentliche Schulen sind, also die Institutionen, die sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger auch sinnvoll mit einer Demokratie umgehen können“, betonte die Philosophin, die an der Hochschule für Politik in München lehrt. Auch Kunst und Kultur seien wichtig, die „Gesamtkonstellation entscheidend.“

Langzeitwirkungen von „wirtschaftlicher Deregulierung“

„Vielleicht sehen wir im Moment die Langzeitwirkungen bestimmter Formen von wirtschaftlicher Deregulierung“, erörterte Herzog. Die Verunsicherung angesichts der globalisierten Wirtschaft befördere populistische Strömungen, die bis hin zu „autoritären“ Vorgehensweisen einiger Staaten, die die Presse einschränkten und massiven Druck auf akademische Institutionen sowie Künstlerinnen und Künstler ausübten.

Wirtschaft als „unkontrollierbar und menschenfeindlich“ empfunden

Herzog erklärt als eine Ursache dieser Phänomene, zu denen auch zunehmender Nationalismus und Fremdenhass gehörten, das verbreitete Gefühl, dass die Wirtschaft „unkontrollierbar und menschenfeindlich“ sei. „Das hat damit zu tun, dass wir eine globalisierte Wirtschaft haben und daher viele regulatorische Instanzen und auch die Wohlfahrtsstaaten auf nationaler Ebene geblieben sind“, analysierte sie.

Brexit als falscher Ansatz

Der Brexit, der durch den Austritt aus der EU wieder die Kontrolle über die eigen Wirtschaft erlangen wolle, sei darum der falsche Ansatz. „Wenn man mit den heutigen Firmen mithalten will, dann können das die einzelnen Länder kaum noch alleine machen. Dann ist eigentlich gerade die EU eine unglaublich wichtige Institution, die das am ehesten schaffen kann“, verriet die Philosophin.

Keine Konkurrenz der Mitgliedstaaten zueinander

Die EU müsse vor allem verhindern, dass die Mitgliedsstaaten „in Konkurrenz zueinander stehen.“ Herzog verwies auf die Möglichkeiten, gemeinsame Steuerpolitik, gemeinsame Bekämpfung von „Steuerminimierung“ und „als Parallele zum gemeinsamen Markt auch gemeinsame Sicherheitsnetze für Individuen“ zu schaffen. „Weltweit ist das ganze noch sehr utopisch, aber wenn auf europäischer Ebene Fortschritte gemacht werden, könnte ich mir vorstellen, dass das auch für andere Weltregionen eine gewisse Vorbildfunktion haben könnte“, sagte sie.

„Nicht nur ein Europa der Märkte“

„Zumindest scheint wieder ein größeres Bewusstsein zu entstehen, dass wir ein Europa brauchen, das nicht nur ein Europa der Märkte ist“, so Herzog weiter. „Wenn wir uns die globale Lage anschauen, dann sehen wir die USA, die auf Abschottung setzen, aber die Einzelnen überhaupt nicht schützen und den Wohlfahrtsstaat massiv abgebaut haben, und China, das auf digitale Kontrolle setzt“, fuhr sie fort. „Die Frage ist, wo können demokratische, freiheitliche Werte und Prinzipien noch gelebt werden - und da hat die EU eine sehr wichtige Rolle zu spielen“, meinte sie.

„Arbeitswelt wieder stärker von unten demokratisch“ kontrollieren

Eine Möglichkeit dafür sieht die Philosophin in der Digitalisierung, die dazu beitragen könne, die „Arbeitswelt wieder stärker von unten demokratisch“ zu kontrollieren. Firmen wären dadurch keine „ferngesteuerten Marionetten irgendwelcher Shareholder“, stattdessen könne „die Belegschaft vor Ort stärker mitbestimmen, was mit der Firma passiert“, führte sie aus. „Das ist im Moment nicht besonders in Mode, das ist mir bewusst, aber wenn man sich die Systematik der Entwicklungen des Machtungleichgewichts zwischen – klassisch gesagt – Arbeit und Kapital anschaut, sehe ich darin die größte Chance, langfristig und strukturell etwas verändern zu können“, schloss Herzog.

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