Flüchtlingsbewegung von 2015 nichts Neues

Während der Flüchtlingskrise 2015 durchquerten rund 900.000 Menschen Österreich, rund 90.000 suchten um Asyl an. Historisch gesehen ist das nichts Neues.

Während der vergangenen 300 Jahre war Österreich immer wieder Ziel von Massenfluchten, belegt der heute Abend in St. Pölten präsentierte Sammelband „Aufnahmeland Österreich“. Im Umgang mit den Vertriebenen zeigen sich erstaunliche Parallelen.

"Aufnahmeland Österreich" von Börries Kuzmany, Rita Garstenauer (Hg.)

Mandelbaum Verlag

Börries Kuzmany und Rita Garstenauer (Hg.): „Aufnahmeland Österreich. Über den Umgang mit Massenflucht seit dem 18. Jahrhundert“. Mandelbaum Verlag. 262 Seiten. 19,90 Euro. ISBN: 978385476-816-6

Wiederholte Flüchtlingskrisen

„2015 ist in Österreich nichts Neues geschehen.“ Mit diesen Worten fasst der Historiker Börries Kuzmany vom Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichteforschung (INZ) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der gemeinsam mit Rita Garstenauer den Sammelband im Mandelbaum Verlag auflegte, im Gespräch mit der APA die grundlegende Idee des Buches zusammen. Flüchtlingskrisen und einen großen Ansturm von Migranten binnen kurzer Zeit habe es in der Geschichte der Habsburgermonarchie und Österreichs immer wieder gegeben. Die Probleme, die 2015 zutage traten, seien nicht wie in der Öffentlichkeit der Eindruck entstand, zum „ersten Mal auf Österreich gefallen“.

Analyse historischer Flüchtlingsbewegungen

„Das heißt nicht, dass das immer leicht war“ oder der Situation besser begegnet wurde, weiß Kuzmany. Anliegen der Herausgeber sei es vielmehr, durch die Analyse historischer Flüchtlingsbewegungen vom Osmanischen Reich bis zum Bosnienkrieg die heutige Situation zu relativieren. „Jede Flüchtlingskrise der vergangenen 300 Jahre ist auf die eine oder andere Art bewältigt worden. Das kann dazu beitragen, eine gewisse Gelassenheit in die heutige Zeit zu bringen“, hofft der Historiker. Trotz der Überforderung von Politik und Öffentlichkeit in der Vergangenheit „ist das Land nicht untergegangen“.

Konstanten und Brüche

Die Geschichte könne sicher kein Lehrmeister für die Gegenwart sein, die Analyse zeige aber Konstanten und Brüche auf, die wiederum Perspektiven auf die heutigen Herausforderungen setzen können. Eine Konstante sieht Kuzmany in vielen Aspekten des Umgangs mit den Flüchtlingsbewegungen. So versuchte der Staat in jeder akuten Krise stets die Kontrolle zu behalten. Bereits zur Zeit Kaiserin Maria Theresias gab es sogenannte „Contumaz-Stationen“, über die alle aus dem Osmanischen Reich Geflüchteten ins Land kommen sollten. Aus dem Ruder liefen solche Versuche viele Male, etwa als 1881/82 rund 25.000 Juden vor Pogromen über die galizische Grenze flüchteten oder während des Ersten Weltkriegs, als die Behörden alles andere als vorbereitet waren auf die Hunderttausenden vom Militär zwangsevakuierten und deportierten Personen aus Galizien, der Bukowina und dem Südwesten des Reiches.

Buchpräsentation: Über Österreichs Umgang mit Massenflucht

Mittwoch, 28. Februar 2018, 18.00 Uhr, Einlass ab 17:30 Uhr, Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich, Kulturbezirk 5, 3100 St. Pölten; Anmeldung erbeten: per E-Mail oder per Tel: 02742-9005 16263

Bereitschaft der Bevölkerung zu helfen

Wie in der Flüchtlingskrise 2015 war auch in der Vergangenheit die Bereitschaft der Bevölkerung zu helfen, fast immer da, im Ersten Weltkrieg aufgrund der rasch einsetzenden Versorgungsengpässe allerdings nur kurz, schränkt der Historiker ein. „Das scheint etwas universell Menschliches zu sein“, konstatiert Kuzmany. 1914 fanden sich viele Menschen spontan auf Wiener Bahnhöfen ein, um die aus dem Osten Geflüchteten mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Streit um Versorgung und Verteilung

Auch der Streit rund um die Versorgung und Verteilung der Flüchtlinge ist keine Erfindung der Gegenwart. Ähnliche Debatten wie 2015 und 2016 gab es bereits 1956, als fast 200.000 Menschen nach dem Volksaufstand in Ungarn nach Österreich flüchteten. Am stärksten waren die Ressentiments gegenüber den eigentlichen Opfern aber wohl während und nach dem Ersten Weltkrieg. Zu spüren bekamen den Hass und die Verweigerung von Hilfeleistungen vor allem die vertriebenen jüdischen Staatsbürger der Donaumonarchie. Christlichsoziale und Deutsch-Nationale hetzten öffentlich vor allem gegen die Juden aus dem Osten, denen mitunter sogar die Schuld an der Niederlage in die Schuhe geschoben wurde. Die Propaganda gipfelte in Aufrufen zu Übergriffen, die in den letzten beiden Kriegsjahren in Wien nicht einmal mehr geahndet wurden.

Kapital wurde aus Not der Flüchtlinge geschlagen

Länderübergreifende Beschlüsse zur Verteilung von Flüchtlingen scheinen geschichtlich betrachtet selten als verbindlich betrachtet worden sein. In vielen Fällen wie bei der in Wien abgehaltenen Konferenz der jüdischen Hilfskomitees nach den Pogromen im Zarenreich 1882 oder der Konferenz von Evian 1938 scheiterten sie gänzlich. Kapital wurde aus der Not der Flüchtlinge allerdings schon immer geschlagen. Nicht nur Schlepper wussten sich finanzielle Vorteile zu verschaffen, auch die von Hilfsorganisationen vorgeschlagenen Ausreiserouten unterlagen handfesten wirtschaftlichen Interessen.

Der Inhalt des Sammelbandes beruht zum Großteil auf der Tagung „Flüchtlingskrisen. Nichts Neues in Österreich.“, die im September 2016 in Wien abgehalten wurde. Veranstaltet wurde das Symposium vom INZ der ÖAW, dem Zentrum für Migrationsforschung (ZMF) und dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM).

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