Deutsche und österreichische Flüchtlingspolitik

Deutsche Politologen nehmen die Unterschiede zwischen der österreichischen und der deutschen Regierung in der Flüchtlings- und Europapolitik unter die Lupe.

Und damit die Unterschiede zwischen den Regierungschefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Angela Merkel (CDU). Kurz stattet Merkel am Mittwoch seinen Antrittsbesuch in Berlin ab.

Deutschland gegen Grenzschließung

Kurz habe in den vergangenen Jahren seine Rolle als Außenminister geschickt dazu genutzt, für Österreich die Führerschaft jener Länder zu übernehmen, die die Balkanroute schließen und eine restriktivere Flüchtlingspolitik betreiben wollten. „Er war damit deutlich erfolgreicher, als die deutsche Bundesregierung, die davon profitiert hat“, meint Thomas Jäger von der Universität Köln. „Selbstverständlich war man in Berlin froh, dass Österreich so vorgeht. Aber gleichzeitig beteuerte man in Berlin, dass das so nicht geht.“ Deutschland versuche, seine Geschichte aufrecht zu erhalten, wonach das Abkommen mit der Türkei alles regle und von Grenzschließung keine Rede sein müsse.

Weniger Asylwerber & stärkere Grenzkontrollen

Auf die Frage der APA, ob Deutschland seine Linie an die Österreichs anpassen werde, meint Jäger: „Das wird ja schon gemacht, indem die Zahl der Asylwerber reduziert und die Grenzen stärker kontrolliert werden.“ Problematisch sei, dass der Migrationsdruck aus demografischen und ökonomischen Gründen auch in den nächsten Jahrzehnten anhalten werde, aber Europa in dieser Frage keinen gemeinsamen Umgang habe.

Quotierung von Flüchtlingen & europäische Solidarität

Der Kölner Politologe erinnert an den langsamen Wechsel Österreichs in der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzler Werner Faymann, der anfangs voll auf Merkels Linie gewesen sei, über die Abschwächung unter dem Nachfolger Christian Kern und schließlich die diametral gegenteilige Position zur deutschen Bundesregierung unter Sebastian Kurz. Kurz mache deutlich, dass die Quotierung von Flüchtlingen gescheitert sei und diese falsche Politik die EU schwächen würde, wogegen Merkel nach wie vor der Meinung sei, dass hier die europäische Solidarität gewahrt werden müsse. „Da muss man abwarten, wie das ausgeht.“

Deutschland habe Schließung von Balkanroute genutzt

Auch Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin sieht die Widersprüchlichkeit in der deutschen Haltung: „Die bisherige Flüchtlingspolitik von Sebastian Kurz war der Politik von Angela Merkel entgegengesetzt, andererseits hat sie Merkel davor bewahrt, in Deutschland noch mehr Probleme zu bekommen.“ Speziell die Schließung der Balkanroute habe Deutschland genützt. „Andernfalls wäre die AfD noch stärker geworden, als sie ohnehin schon war. Aber das konnte weder die deutsche Regierung noch Merkel selbst so sagen. Im Gegenteil, man ermahnte Österreich, weniger restriktiv vorzugehen.“

Annäherung durch Sondierungsgespräche

Nun müsse man jedoch miteinander auskommen, da Österreich ein wichtiger Faktor in der EU sei. Die Differenzen blieben zwar bestehen, doch mit dem Ergebnis der Sondierungsgespräche von CDU/CSU und SPD sei klar geworden, dass sich die deutsche Flüchtlingspolitik durchaus der österreichischen etwas annähere, findet Niedermayer im Gespräch mit der APA. Für das gegenseitige Verhältnis sei das positiv.

Ein weiterer namhafter Politikwissenschaftler der Freien Universität wollte das Verhältnis nicht kommentieren und sagte nur: „Lädt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán auf die CSU-Klausurtagung ein, kontert das Angela Merkel mit Sebastian Kurz.“

Welcher Weg in der EU-Politik?

Stephan Bröchler von der Humboldt Universität Berlin konzediert Kurz großes politisches Talent, sorgt sich jedoch mit der Frage, „welche Richtung Österreich mit der Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ im Blick auf die EU und zu Deutschland im Besonderen einschlägt“. „Wird Österreich zur Überwindung der Krise der EU beitragen, wie sie gerade in der Migrations- und Flüchtlingspolitik augenscheinlich ist, oder wirkt sich die Politik von Sebastian Kurz im Gegenteil krisenverschärfend aus? So oder so kommt Bundeskanzler Kurz eine wichtige strategische Rolle zu“, betont Bröchler.