„Renationalisierung“ bei Sozialpolitik in der EU

Die Politologin Sieglinde Rosenberger hat vor der wachsenden „Renationalisierung“ innerhalb der EU gewarnt. „Europa wird immer mehr zu einem Europa der Mitgliedsländer“.

Dies erklärte sie im Rahmen der Diskussionsveranstaltung „Ein solidarisches Europa entwickeln“ am Donnerstagabend in Wien. Besonders die Sozialpolitik in den EU-Staaten könne davon betroffen werden.

Offener Brief an österreichische EU-Abgeorndete

Die Diskussion wurde von der Katholischen Sozialakademie Österreichs (KSÖ) und dem Lehrgang „Sozialakademie“ der Arbeiterkammer organisiert. Ziel der Veranstaltung war das Verfassen eines Offenen Briefes an alle österreichischen Abgeordneten im Europaparlament, der zur Förderung innereuropäischer Solidarität aufruft. Der Inhalt des Schreibens wurde von allen Teilnehmern der Veranstaltung gemeinsam erarbeitet. Dabei wurden ein einheitliches Steuersystem, verstärkte Besteuerung von Konzernen und die Bekämpfung von Steuerhinterziehung gefordert, um sozialen Ausgleich und Frieden zu erreichen.

„EU solidarischer“ machen

„Die Schwierigkeit ist es, eine Maßnahme zu finden, die dazu beiträgt, die EU solidarischer zu machen“, kommentierte Rosenberger das Ergebnis der Diskussion. „Die Idee der politischen Einheit mit gemeinsamen Zielen trotz Pluralität geht stark zurück“, so die Politologin. Mitgliedsstaaten könnten sich gegen die Implementierung von EU-Beschlüssen stellen, ohne ernsthafte Sanktionen fürchten zu müssen: „Die Sanktionen werden wohl auch immer weniger, weil die Gruppe der europakritischen Länder immer größer wird“, so die Wissenschafterin.

„Mehr Verständnis“ für Visegrád-Staaten

Auch die wahrscheinlich künftige schwarz-blaue Bundesregierung werde den Visegrád-Staaten, die sich bisher vor allem in Bezug auf die Flüchtlingspolitik gegen die EU gestellt hatten, „mehr Verständnis entgegenbringen“, sagte Rosenberger. „Es kann durchaus sein, dass in einigen Bereichen, zu denen denke ich auch die Sozialpolitik zählt, eine Renationalisierung stattfinden wird“, fügte sie hinzu.

Verdrängung soziökonomischer Probleme

Ein besonders großes Problem ist für Rosenberger zudem die Verdrängung soziökonomischer Probleme aus der öffentlichen Debatte. „Das Europa der Mitgliedsländer schaut auf den Kontrast zwischen dem Anderen und dem Eigenen, sowie Ethnizität, Religion, Nationalität. Die anderen Fragen, die soziale und ökonomische Probleme betreffen, treten in den Hintergrund“, betonte sie.

„Ungleichheitsfragen“ treten in Hintergrund

„Es gibt eine Aufmerksamkeitsökonomie - einen geistigen Pool, an den Menschen sich erinnern können, worüber gesprochen wird. Dabei treten ökonomische Probleme und Ungleichheitsfragen in den Hintergrund“, erklärte Rosenberger das Phänomen. Europaweit gebe es trotz der Politik der Mitgliedsstaaten dieselben Diskussionen, die dazu führten, dass „viele Fragen, vor allem der Sozialität, an Bedeutung verlieren, weil die anderen Fragen so sehr an Bedeutung gewinnen“.