EU-Osterweiterung „im Großen und Ganzen Erfolgsfall“

„Die EU-Osterweiterung war im Falle Österreichs im Großen und Ganzen ökonomisch und sozial ein Erfolgsfall.“ So fasst Ursula Reeger vom Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Ergebnisse eines dreijährigen Forschungsprojekts zusammen.

In dem Forschungsprojekt wurden die Auswirkungen der EU-Binnenmigration aus dem Osten in mehreren Ländern untersucht. Konkret wurden für das Forschungsprojekt „Imagination“ von Forscherteams aus Österreich, den Niederlanden und Schweden (neben der Türkei als kontrastierendem Fall) die Auswirkungen der Zuwanderung aus den östlichen EU-Ländern auf Stadtregionen in ihrem jeweiligen Land analysiert. Die ÖAW hat das am Beispiel von Wien und Linz getan. Für die Untersuchung haben die Forscher Interviews mit Experten der jeweiligen Städte geführt.

Forschungsprojekt „Imagination“ mit Teams aus Österreich, den Niederlanden, Schweden und der Türkei

Rumänen, Polen und Ungarn größte Zuwanderergruppen

366.000 Zuwanderer aus den 2004 und 2007 der EU beigetretenen Länder aus Mittel- und Osteuropa waren mit Jahresbeginn 2016 in Österreich angemeldet, das ist die bei Weitem größte Zahl in den drei untersuchten Ländern. Die größten nationalen Zuwanderergruppen sind dabei in Österreich Rumänen, Polen und Ungarn. Um die Größenordnung zu zeigen: In Österreich gibt es 220.000 Deutsche und 99.000 Rumänen.

Ständiges Kommen und Gehen

Durch den schrittweisen Wegfall rechtlicher Barrieren mit der Ostöffnung ist die Migration aus Mittel- und Osteuropa von einem ständigen Kommen und Gehen geprägt, wie Reeger im APA-Gespräch betont. Diese Gruppe hat außerdem viele Gesichter, es fallen Wissenschaftler und Studenten ebenso hinein wie Saisonarbeiter und Grenzgänger, die täglich nach der Arbeit in ihr Heimatland zurückkehren, oder nachgeholte Familienmitglieder.

Als Gruppe „unsichtbar“

Das Gros dieser Zuwanderer integriert sich dabei ganz selbstverständlich in Österreich und bleibe als Gruppe „unsichtbar“, fassen die ÖAW-Forscher die Aussagen der befragten Experten zusammen: Wegen der großen Nachfrage nach Arbeitskräften in bestimmten Bereichen konnten sie meist einen Arbeitsplatz finden, wenn auch ein nicht genau bezifferbarer Teil in der Schattenwirtschaft und damit außerhalb des österreichischen Sozialsystems gelandet ist.

Soziale Akzeptanz

Angemeldet arbeiten etwa alleine mehr als 50.000 Personen als Pflegekräfte in österreichischen Haushalten, so Reeger. Zuwanderer aus dem Osten können in Österreich in der Regel auch auf soziale Akzeptanz zählen, was laut der Forscherin neben der direkten geografischen Nachbarschaft auch an der gemeinsamen Kultur und langen gemeinsamen (Migrations-)Geschichte liegt.

In Niederlanden temporäres Phänomen

In Schweden und den Niederlanden werden Arbeitskräfte aus den östlichen EU-Mitgliedsstaaten zwar ebenfalls gebraucht, „aber eine Integration dieser Gruppe im weiteren Sinn wird dort nicht angestrebt“, sagt Reeger. Die Anwesenheit dieser Menschen werde vor allem in den Niederlanden - wie früher in Österreich bei den „Gastarbeitern“ aus Ex-Jugoslawien und der Türkei - nur als temporäres Phänomen gesehen. Dementsprechend werde etwa die Frage, ob die Ost-Zuwanderer eigentlich für ihre Arbeit überqualifiziert sind, bisher nicht als Problem des Staates, sondern des jeweiligen Individuums gesehen.

Migration als „Teil der Normalität“

„In Österreich ist diese Migration ein Teil der Normalität, das haben die Experten in den Interviews immer wieder gesagt“, sagt Reeger mit Verweis auf die geografische Nähe. „In den anderen Ländern wird das anders wahrgenommen.“ Dieser Zugang spiegelt sich auch im politischen Umgang mit dieser Gruppe wider: Die Stadtregionen bzw. nationalen Regierungen konzentrieren sich in Schweden auf die Gruppe der Bettler und Obdachlosen, in den Niederlanden liegt der Fokus auf prekären Beschäftigungsverhältnissen und Problemen beim konkreten Zusammenleben.

Dequalifikation auf politischer Agenda

In Österreich steht laut der ÖAW-Erhebung die Frage der Dequalifikation - also der Verlust oder die Entwertung beruflicher Fähigkeiten und Fertigkeiten - ganz oben auf der politischen Agenda. Hier seien auch bereits Maßnahmen auf nationaler Ebene ergriffen worden, um mitgebrachte Qualifikationen (Ausbildungen, Studien) stärker anzuerkennen.

„Wenig bis keine Integrationsmaßnahmen“ aus EU-Ebene

Mängel im Umgang mit EU-Binnenmigranten aus dem Osten orten die Studienautoren vor allem auf EU-Ebene. Die Freizügigkeit sei zwar auf EU-Ebene beschlossen worden, dennoch setze diese „wenig bis keine Integrationsmaßnahmen“ für Binnenmigranten. „Hier gibt es noch ganz starken Handlungsbedarf“, so Reeger. Besonders wichtig sei etwa Sprachförderung: Eine Finanzierung von Kursen für Binnenmigranten fehle allerdings weitestgehend; es gebe auch kaum Initiativen der EU zu deren Förderung. Ein weiterer Schwerpunkt müsste der Zugang zu Informationen sein, wie man etwa an den richtigen Job oder den richtigen Vertrag kommt, wie man Zugang zum Sozialsystem erhält und eine Wohnung findet. Hier hätten die Experten in den Interviews immer wieder auf massive Wissenslücken verwiesen.

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