40 Jahre Volksgruppengesetz | Lichtjahre entfernt von der Realität

„Die Handlungsfähigkeit des Volksgruppenbeirats als beratendes Organ ist sehr eingeschränkt und kann die Volksgruppe rechtlich nicht vertreten, da es keine Selbstbestimmung besitzt“, kritisiert Richard Basler, Mitglied des Volksgruppenbeirates für Tschechen.

On demand | Rádio Dráťák Magazín | Tschechisch | 2.1.2017

Konstituierung des Beirats erst nach 18 Jahren

Rádio Dráťák Magazín | 2.1.2017
21:10 | Radio Burgenland
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1976 wurde das Volksgruppengesetz für die autochthonen Volksgruppen in Österreich als Antwort auf die zweisprachige Ortstafelfrage in Kärnten unter Bundeskanzler Bruno Kreisky verabschiedet. In diesem Blatt wurde erstmals auch die tschechische, einstmals tschechoslowakische Minderheit als autochthone Volksgruppe anerkannt. Gleichzeitig mit dem Gesetz wurde auch der Volksgruppenbeirat als beratende Instanz ins Leben gerufen. Konstituiert hat sich der heute 10-köpfige Volksgruppenbeirat für Tschechen jedoch erst im Jahr 1994.

Sjednica zastupnikov savjetov narodnih grup

ORF

Volksgruppenbeiratssitzung im Jänner 2016

Die Gründe für diese lange Verzögerung lagen, so Richard Basler, innerhalb der Volksgruppe selbst, da diese sich uneinig darüber war, wer darin als Vertreter/in fungieren sollte. Das rührte wiederum daher, dass die Vereine damals starke Tendenzen für oder gegen die damalige Prager Regierung aufwiesen.

Der Volksgruppenbeirat für Tschechen setzt sich folgend zusammen: Vier Personen aus den politischen Parteien, ein/e kirchliche/r und fünf von den Vereinen vorgeschlagene Vertreter/innen.

So sei der vermeintliche Anstoß zur letztendlichen Konstituierung des Volksgruppenbeirates einerseits die Samtene Revolution gewesen, die den beiden Vereinspositionen die Luft aus den Segeln nahm, andererseits die Finanzierung der schulischen Einrichtungen des Schulvereins Komenský in Wien.

Generalversammlung der Wiener ARGE für Volksgruppenfragen | Volksgruppeninstitut

ORF | strujic

Richard Basler, Volksgruppenbeiratsmitglied für Tschechen

Juristisch problematisch, demokratisch nicht vertretbar

Richard Basler erkennt eine Problematik darin, dass die Handlungsfähigkeit des Volksgruppenbeirats als beratendes Organ sehr eingeschränkt ist und die Volksgruppe rechtlich nicht vertreten kann, da es keine Selbstbestimmung besitzt.

Jedes Beiratsmitglied spreche lediglich für sich als anonyme Privatperson. Wenn auch Gesetze nicht eingehalten werden würden, seien dem Beirat aus juristischer Sicht die Hände gebunden. So sei eine Rechtsstellung der Volksgruppen als Körperschaft des Öffentlichen Rechts notwendig. Außerdem käme es nur selten bis gar nicht vor, dass der Beirat von den leitenden Politiker/innen tatsächlich in Volksgruppenangelegenheiten um Rat gefragt werde.

Ebenfalls fehle eine Gesetzgebung für die Anerkennung der autochthonen Volksgruppen in Österreich, die bisher willkürlich vom Staat, gründend auf ihre territorialen Siedlungsgebiete bestimmt wurde. Vor allem in Wien aber, sei hier eine neue Regelung von Bedeutung, betont das Volksgruppenbeiratsmitglied für Tschechen Richard Basler.

Unter Einfluss des Staates

Auch, dass die Mitglieder des Volksgruppenbeirats zu stark unter Einfluss des Bundeskanzleramtes gewählt werden, ist Gegenstand Baslers Kritik. Dies sei nicht das Ziel einer für beide Seiten zufriedenstellenden Zusammenarbeit. Zudem seien die Hauptaufgaben der Beiratssitzungen darauf reduziert worden, dem Bundeskanzleramt Vorschläge für die Budgetverteilung zu liefern.

Volksgruppen wieder enttäuscht

Im Jahre 2011 wurde unter der Mitwirkung der Volksgruppenvertreter/innen eine Novellierung des Volksgruppengesetzes ausgearbeitet, die auch die von Richard Basler bemängelten Punkte beinhaltete. In der endgültigen Gesetzesvorlage seitens des damaligen Staatsekretärs Josef Ostermayer vermissten 2012 die Volksgruppen jedoch die wesentlichen Verbesserungen als Resultat der Arbeitsgruppen.

„Unsere Position wäre noch schlimmer, als sie ohnehin schon war und ist“, bekräftigt Basler die Entscheidung, warum die Volksgruppen dieser Vorlage Ostermayers gegenüber ablehnend standen. Bezüglich der Gewährleistung des Fortbestandes von Schulen der Wiener Tschechen und Slowaken waren die Vertreter/innen enttäuscht.

sjednica 2016 sitzung

Štefan Pauer - Djelatna zajednica za narodne grupe

Sitzung aller Beiratsmitglieder im November 2016 im Schulverein Komenský

Finanzierung der schulischen Einrichtungen legt die Volksgruppenarbeit lahm

"Die Finanzierung der Schulen des Komenský Schulvereins ist ein großes Problem, das anderen Vereinen die Entwicklung nicht ermöglicht“, bedauert Richard Basler. „Letztendlich geht es nicht nur um die tschechische Volksgruppe, sondern auch die slowakische, die auch Teile der Finanzierung der sogenannten ‚tschechischen Schule‘ aus ihrem Volksgruppenbudget übernimmt“, so Richard Basler, der die tschechische Volksgruppe auch in der Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgruppenfragen | Volksgruppeninstitut vertritt. Die sogenannte ARGE für Volksgruppenfragen versteht sich seit über 30 Jahren als Sprachrohr für gemeinsame Belange aller Wiener Volksgruppen.

Privatschulgesetz für Volksgruppen dem Ministerium vorgelegt

Seit jeher verlangt die ARGE für Volksgruppenfragen auch für Wien ein Minderheitenschulgesetz, analog zu dem in Kärnten, der Steiermark und dem Burgenland.

Als eine Alternative zum Minderheitenschulgesetz für Wien, dessen Umsetzung seit langem gefordert, jedoch nicht erreicht wird, liegt nun ein Entwurf für ein Privatschulgesetz vor. Auch dies war ein Thema, über das in einer von der „Wiener Arbeitsgemeinschaft für Volksgruppenfragen – Volksgruppeninstitut“ initiierten Sitzung zum 40. Jahr des Fortbestands des Volksgruppengesetzes unter den Vertreter/innen der sechs österreichischen Volksgruppen Ende November im Wiener Schulverein Komenský diskutiert wurde.

„Die tschechische Volksgruppe hat einen Vorschlag für ein neues Privatschulgesetz für Volksgruppen ausgearbeitet, mit den anderen Volksgruppen abgestimmt und dem Unterrichtsministerium vorgelegt“, beschrieb Karl Hanzl, Vorsitzender des Schulvereins Komenský, im Laufe der Sitzung die Bemühungen seitens der Volksgruppen.

"Neue Entwicklungen der Volksgruppen in Wien" | Buchpräsentation

y. strujic

ARGE-Mitglieder Richard Basler (Vertreter der tschechischen Volksgruppe), Heinz Tichy (Vorsitzender) und Ernö Deak (stv. Vorsitzender, Vertreter der ungarischen Volksgruppe)

Für Jugend | Zukunft bedarf es Visionen

„Natürlich geht es um Visionen. Es muss möglich sein, daran zu denken, was die Jugend braucht, was sie brauchen könnte, Projekte zu entwickeln. Ich meine also, nicht das wiederholen zu müssen, was schon immer gewesen ist, sondern etwas neues zu probieren. Das würde jedoch ein Risiko bedeuten. Und welcher Verein, der ohnehin wenig Budget hat, würde auch noch ein Risiko in Kauf nehmen? Keiner. Jeder Verein ist froh, dass überhaupt die Strukturen funktionieren. Für Innovation gibt es kein Geld“, bedauert das Beiratsmitglied Richard Basler in der Neujahrssendung des Magazins Rádio Dráťák.